Vom Rheinhessendom bis zum Monte Schlambes. Doris Ahnens „Tour de Mayence“ mit Geschichte und Geschichten

Warum hat der Rheinhessendom in Gonsenheim, die katholische Pfarrkirche St. Stephan, eigentlich zwei Kirchtürme, die fast 60 Meter in die Höhe ragen? Wenn man einer Anekdote zu Beginn des 20. Jahrhunderts Glauben schenken will, dann gibt es nur einen Grund: „Die Finther hatten halt nur einen Kirchturm“, spielt mit einem Augenzwinkern Michael Starck, der Vorsitzende des Fördervereins Rheinhessendom e.V. auf das vor allem in der Fastnachtszeit nicht immer spannungsfreie Verhältnis zu den Finther Nachbarn an.

Starck führt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen „Tour de Mayence“ durch die Kirche, die nach einem umfassenden Umbau seit 1906 die größte Landkirche in Rheinhessen ist. Seit mehr als 10 Jahren lädt die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Ahnen im Sommer zu einer Wanderfahrt mit dem Fahrrad durch ihren Wahlkreis, der die Außen-Stadtteile von Hechtsheim über Bretzenheim, Marienborn, Drais bis nach Mombach umfasst. Das Motto der diesjährigen Tour, die von Gonsenheim über Finthen und den Lerchenberg nach Hechtsheim führt, ist „Geschichte und Geschichten“ oder wie der Meenzer sagt: „Geschichtcher“.

Die erste Geschichte hören die mehr als 30 Mitradlerinnen und Mitradler am Rande des Gonsenheimer Wochenmarkts. Horst Wambach, Ehrenamtler im Stadtteiltreff, liest unter freiem Himmel aus seinem Buch „Herr Patocki geht unter Leute“. Das Buch erzählt in abgeschlossenen Fortsetzungen über das Leben in der „Elsa“, der Hochhaussiedlung am Rande des Gonsenheimer Villengebiets, die für den Autor einen großen Zauber hat.

Auf „ihren Wochenmarkt“ ist der Gonsenheimer SPD-Ortsverein übrigens besonders stolz, wie der frühere Ortsvorsteher Bernhard Breit am Rande der Lesung unterstreicht. Schließlich hatte 1973 der aus den Reihen der SPD stammende Ortsvorsteher Richard Becker (Spitzname „Spinat“) zusammen mit zwei weiteren Ur-Gonsenheimern die Idee, die Kirchstraße als Standort für den Verkauf frischer Produkte zu öffnen.

Kein Gonsbach ohne Finther Aubach

Stolz sind auch die Finther auf ihren Stadtteil und so fällt es Kurt Merkator, bis vor wenigen Tagen Sozial- und Schuldezernent der Stadt Mainz und engagierter Ortshistoriker, nicht schwer, die Antwort des Bergdorfs auf die Gonsenheimer Provokation des zweitürmigen Rheinhessendoms zu referieren: Vier Jahre nach der Einweihung der Gonsenheimer Pfarrkirche erhöhen die Finther den eigenen Kirchturm von St. Martin um eine Glockenstube und damit um zehn Meter. „Und schon konnten die Gunsenumer neben ihren beiden auch wieder unseren Kirchturm sehen.“ Und Merkator weiter: „Ohne den Finther Aubach hätten die Gonsenheimer überhaupt kein Wasser im Gonsbach und damit auch keins für ihre Gemüsefelder.“ Der alte Ortskern des heutigen Finthens existiert erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Das „alte“ Finthen mit Wurzeln bis weit vor die Römerzeit wurde von den Schweden während des Dreißigjährigen Kriegs völlig niedergebrannt und die Bevölkerung vertrieben.

Sorgen macht sich Merkator um das Erscheinungsbild in den Straßen des Ortskerns. So sind in den 90er Jahren bedeutende Gebäude wie das Gasthaus „Krone“ abgerissen oder wie die Markthalle umgebaut worden. „Und es verschwinden immer mehr die für Finthen so typischen Backsteinhäuser“ - erbaut aus Ziegeln aus der ehemaligen Ziegelei auf dem Finther Katzenberg.

Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Tour de Mayence“, darunter der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Alexander Schweitzer und SPD-Bundestagskandidat Dr. Carsten Kühl, beginnt dann am Ortsrand von Finthen der schwierigste Streckenabschnitt. Der Anstieg an der Langen Frechte zwischen den Finther und Draiser Obstfeldern erfordert gute Kondition und eine kleine Übersetzung bei der Kettenschaltung.

Riesen-Memory zum Stadtteil-Jubiläum

Über die Draiser Senke führt der Weg zum Brunnen am Einkaufszentrum des Stadtteils Lerchenberg, der in diesem Jahr den 50. Jahrestag seiner Gründung feiert. Sissi Westrich und der SPD-Ortsverein haben aus diesem Anlass ein Riesenmemory mit Bildern aus dem Stadtteil gestaltet – ein Riesenspaß für die Radfahrerinnen und Radfahrer sowie den Mainzer Sozialdezernenten Dr. Eckart Lensch, der vor der letzten Etappe zur Gruppe stößt.

Zwar kann der Lerchenberg erst auf ein halbes Jahrhundert Geschichte zurückblicken, doch „Geschichtcher“ zum Schmunzeln haben sich auch in dieser kurzen Zeit bereits abgespielt. So hat Hildegard Hirschelmann den ersten Kindergarten auf dem Lerchenberg geleitet, damals noch mit der Berufsbezeichnung Kindergärtnerin, mit 30 Kindern in der Gruppe, ohne Zaun um die Einrichtung und das bei laufenden Bauarbeiten in der Nachbarschaft. Für viele Kinder war der entstehende Stadtteil ein verwunschenes Paradies zum Spielen, das, wie sich SPD-Vorstandsmitglied Nicole Krämer als „Lerchenberger Kind der ersten Stunde“ erinnert, in den ersten Jahren den Spitznamen „Monte Schlambes“ trug.

Trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten auf der Großbaustelle waren die Lerchenberger Anfangsjahre durch einen starken Zusammenhalt geprägt, wie Otto Schütrumpf betont. Die Gaststätte „Schinderhannes“ am oberen Rand des Einkaufszentrums war ein beliebter Treffpunkt, in dem sich Zugezogene aus allen Bundesländern auf ein Bier nach Feierabend trafen. Und was machen Zugezogene, um sich mit Meenzer Lebensart vertraut zu machen? Sie gründen 1972 zusammen mit ein paar Mainzern, die auf dem Lerchenberg gebaut haben, einen Fastnachtsverein: den Carneval Club „Die Euleköpp“.

Über Marienborn radeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die letzten Kilometer bis zum Winzerhof des Weinguts Heinz Lemb in Hechtsheim, wo die Vorsitzende der Mainzer Winzer, Sigrid Lemb-Becker die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam mit Michael Ebling erwartet. Bei Spundekäs', Brezeln, Käsebrötchen sowie Hechtsheimer Wein und Traubensaft klingt die knapp 20 Kilometer lange Radtour aus. „Ein gelungener, ein interessanter Tag“, so das Fazit von Doris Ahnen. „Wir haben gespürt, unsere Stadtteile sind voller Leben und Engagement. Sie wissen um ihre Geschichte und ihren Charme beziehen sie aus ihren Geschichten, den kleinen Geschichtcher aus dem früheren und heutigen Alltag der Menschen.“

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